Nur weil man etwas nicht sieht, heiĂt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt âŠâ, tröstet die Mutter die kleine Emma in der Geschichte âTomte Tummetottâ von Astrid Lindgren. Gemeint ist der Nisse Tomte, ein Fabelwesen aus Skandinavien, das im Winter aus seinem Versteck auf dem Heuboden herauskommt, um nach den schlafenden Tieren des Bauernhofes zu schauen und ihnen das lange Warten auf den FrĂŒhling zu verkĂŒrzen. Tomte kennt all ihre Geheimnisse. âUnd ich kenne Tomte schon seit meiner Kindheitâ, lacht Hofbesitzerin Dr. Juliane Marliani. Begegnet sei sie dem Hausgeist selbst noch nicht â aber: âAuf unserem Hof haben ihn schon viele Kinder gesehenâ, schmunzelt sie, âund zwar immer wieder anders. Es ist gut zu wissen, dass er da ist und auf uns aufpasst.â
Ein Bauernhof mit vielen Tieren â und mit einem Tomte â, das war schon immer der Traum der promovierten Diplom-Biologin, die aus dem Ruhrgebiet nach Ostfriesland kam.
2003 kauften sie und ihr Mann, AndrĂ© Marliani, den Gulfhof am Ryksdyker Weg in Norden und nannten ihn âTomtes Hofâ. Ihre Erfahrungen als Tiertrainerin und Homöopathin waren Ausgangspunkt fĂŒr diese Idee.
Im Oktober 2004 wurde der gemeinnĂŒtzige Verein âTomtes Hof e.V.â gegrĂŒndet. Zu den GrĂŒndungsmitgliedern gehören Experten aus den Bereichen Biologie, PĂ€dagogik, Informationstechnologie und Betriebswirtschaft. Ein Jahr spĂ€ter und nach zahlreichen UmbaumaĂnahmen konnte der Hof eröffnet und an den Verein verpachtet werden. Der Verein verfolgt die Zwecke der Jugend- und Behindertenhilfe, Erziehung und Bildung, Förderung des Natur- und Umweltschutzes und vor allem des Tierschutzes. âHierunter verstehen wir vor allem die artgerechte Haltung und Pflege unserer Haus- und Nutztiere und deren Nach- und Aufzucht unter natĂŒrlichen Bedingungenâ, erzĂ€hlt Juliane Marliani.
Als Mitglied der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefĂ€hrdeter Haustierrassen (GEH) beteiligt sich Tomtes Hof an Zuchtprogrammen von bedrohten Rassen und trĂ€gt so zur Erhaltung dieser Tiere bei. Das Verantwortungsbewusstsein der Menschen gegenĂŒber Tieren und deren Umwelt zu stĂ€rken und damit das ökologische Bewusstsein fĂŒr einen nach-
haltigen Natur- und Umweltschutz zu fördern ist Dr. Marlianis Ziel. Vor Ort wird die Biologin dabei von FachkrĂ€ften, Sozial- und ErlebnispĂ€dagogen und Therapeuten ebenso unterstĂŒtzt wie von Praktikanten oder Freiwilligendienstlern.
UND WAS FRESSEN DIE SCHAFE?
Der Hof der Marlianis liegt inmitten der Westermarsch, einer historischen Marschlandschaft direkt am Langhauser Tief. Umgeben von einer Graft, wo sich Wild- und Laufenten tummeln, altem Baumbestand und 4,5 Hektar Weideland ist er ein Erlebnisort fĂŒr Menschen und Tiere.
Dieses Mal ist es eine fröhliche Schar von Kleinkindern, die sich mit ihren Eltern auf das Erlebnis Tomtes Hof einlassen möchte. Sie sind zur âTierischen Mit-Mach-FĂŒtterungâ gekommen und werden in den nĂ€chsten anderthalb Stunden viel ĂŒber die Tiere, ihren Charakter und ihre kulinarischen Vorlieben erfahren. Die hautnahe Begegnung und ein respektvoller Umgang gehören dazu.
Vor jeder FĂŒtterung kommen Kinder und Mitarbeiter zusammen: Welche Art wird als nĂ€chstes versorgt? Welche Pflanzen mögen Kaninchen? Worauf muss ich achten, wenn ich die Pferde fĂŒttere? Was fressen die Schafe? Ist das Getreide fĂŒr die Schweine nicht zu trocken? âMan kann Wasser dran tunâ, tönt es aus der Runde â und so wirdâs dann auch gemacht.
Viele tierische Mitbewohner auf dem Hof gehören zu den gefĂ€hrdeten Haustierrassen: Rote Wollschweine (Mangalitza) zum Beispiel, ziemlich groĂe und krĂ€ftige Borstentiere, sind in ihrem Bestand extrem bedroht. Die friedlichen ZeitÂgenossen versetzen die kleinen Leute in Staunen. Wie nah darf âSchweinâ dem Menschen kommen â und umgekehrt? Die LĂŒtten haben durchaus Respekt vor den zotteligen Riesen â Angst haben sie nicht. Was die freundlichen Wollschweine gerne fressen und womit man ihnen Gutes tun kann, haben sie zuvor bei Wiebke gelernt. Die absolviert gerade ein Freiwilliges Ăkologisches Jahr auf Tomtes Hof und gestaltet mit Praktikantin Martina einen lustigen und informativen Nachmittag.
âSchweiiiineeeeeâ schallt es dann mehrstimmig ĂŒber den Hof. FĂŒr Wollschwein Jolante und ihre Artgenossen das Signal: Es gibt etwas zu mampfen. AngefĂŒhrt von der stattlichen Leitsau setzt sich die Crew in Bewegung. Ganz schön flott die Meute. Die jungen Besucher folgen. Sie haben nicht nur vergnĂŒgt Gerstenschrot und Wasser vermengt, sondern auch Obst im Schweinestall âverstecktâ und möchten nun unbedingt dabei sein, wenn die Tiere diese Köstlichkeiten wieder ausbuddeln. Dass Jolante und die Ihren darin Ăbung haben und Ăpfel und Birnen schnell finden, haben sie nicht erwartet.
Danach geht es zu den Schafen. Die Kinder tragen mit Salat, Getreide und anderen Leckereien gefĂŒllte Eimer in den Stall und fĂŒllen die Tröge â die einen sehr behutsam, die anderen mit Schwung. âSchaaaafe!â â Die lassen sich nicht lange bitten. Als WiederkĂ€uer sind sie ohnehin die meiste Zeit mit Kauen beschĂ€ftigt, was die Urlauberkinder schon auf den Deichen beobachtet haben. AnschlieĂend wird gekuschelt. âWo möchten die Schafe denn am liebsten gekrault werden?â, gehört zu den oft gestellten Fragen. Die meisten Schafe genieĂen die Zuwendung der Menschen. Andere haben heute mal âkeinen Bockâ und ziehen sich zurĂŒck.
Einige Besucher auf Tomtes Hof machen gerade Ferien in Ostfriesland. Die NĂ€he zu den Tieren ist fĂŒr manche eine neue Erfahrung. âWir können wegen einer Allergie keine Haustiere haltenâ, erzĂ€hlt eine Mutter aus Nordrhein-Westfalen. âUnd Bauernhoftiere kennt unser Junge gar nicht.â Er ist nicht der einzige. Umso schöner ist es mit anzusehen, wie unbekĂŒmmert, aber auch umsichtig die Kinder den Tieren begegnen. Vielleicht gehören sie ja einmal zu den Teilnehmern der Natur-Erlebnistage, die Tomte in den Ferien anbietet, dĂŒrfen âbei Schafen schlafenâ, sich als Forscher betĂ€tigen oder die Tierwelt Ostfrieslands kennenlernen.
Projekte mit FlĂŒchtlingskindern sind in Planung. Mit ihren deutschen Spiel- oder Schulkameraden sollen auch sie von und mit Tieren lernen.
TIERE ENTSPANNEN!
Die positive Wirkung, die Tiere auf das menschliche Wohlbefinden haben können, ist seit langem wissenschaftlich belegt. Die Anwesenheit eines Tieres gibt dem Menschen die Möglichkeit, sich zu öffnen und zu entspannen. Der Umgang mit ihnen fördert soziale Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein und EinfĂŒhlungsvermögen. Stress und Aggressionen können abgebaut werden. Die Angebote auf Tomtes Hof richten sich an BildungstrĂ€ger, soziale und therapeutische Einrichtungen. Sie beinhalten VortrĂ€ge und Seminare, Workshops und naturnahe Freizeitangebote bis hin zu individuellen Programmen fĂŒr Schulen, KindergĂ€rten, Kinderheime, Behinderteneinrichtungen und Kurheime.
Die âtiergestĂŒtzte Interventionâ â ein durch die Delfintherapie bekannt gewordener Begriff â wird als EinzelfördermaĂnahme, aber auch fĂŒr Gruppen angeboten. Co-Therapeuten sind immer die Tiere. âWir nutzen die Begegnung und Auseinandersetzung mit Tieren als impulsgebendes Erfahrungsfeld fĂŒr Kinder und Jugendliche, ebenso fĂŒr Erwachsene mit besonderem Förderbedarfâ, erklĂ€rt Dr. Marliani. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt der Stadt Norden oder dem Amt fĂŒr Kinder, Jugend und Familie. Ein Streichelzoo ist Tomtes Hof also nicht! âDas Streicheln und BerĂŒhren eines Tieres fĂŒhrt zum Aufbau einer tiefen empathischen Beziehung.â Die Menschen werden angeleitet, sich in dieser AtmosphĂ€re frei zu entfalten, alle Sinne einzusetzen, Ăngste abzubauen und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Juliane Marliani gibt ein Beispiel: âKindern aus Pflegefamilien fĂ€llt es oft schwer, Bindungen aufzubauen. Mit Tieren ist das einfacher. Es fĂ€llt leichter, mit ihnen zu kommunizieren, sich ihnen anzuvertrauen.â
MENSCH UND NATUR SIND EINS
Die gute Sozialisierung der Vierbeiner ist genauso wichtig, wie das ârichtigeâ Tier fĂŒr den jeweiligen Menschen zu finden. Die Tiere werden hier nicht ânurâ artgerecht gehalten, sondern als individuelle Persönlichkeiten fachgerecht und rĂŒcksichtsvoll eingesetzt. âWir arbeiten mit den Tieren sehr freiheitlichâ, erzĂ€hlt die Tiertrainerin. Auch wenn das Zeit und MĂŒhe erfordert. âSie entscheiden selbst, wann sie nach drauĂen möchten und wann nicht.â An Möglichkeiten mangelt es den 120 tierischen Mitbewohnern â neben den Wollschweinen und Schafen sind es Esel und Ziegen, Meerschweinchen und Kaninchen, HĂŒhner, Enten und GĂ€nse, Pferde, Katzen und HofhĂŒndin Ina â auf dem weitlĂ€ufigen GelĂ€nde nicht.
Dass Tomtes Hof als einer von bislang drei zertifizierten Höfen in Niedersachsen 2009 in das bundesweite Netzwerk âBegegnungshöfeâ aufgenommen wurde, spricht fĂŒr sich. Die Höfe zeichnen sich durch eine nachhaltige Förderung der Mensch-Tier-Beziehung und die achtsame und respektvolle Begegnung mit Heim- und Nutztieren aus. Diese Zertifizierung durch die 2008 gegrĂŒndete Stiftung âBĂŒndnis Mensch & Tierâ ist Juliane Marliani besonders wichtig, dokumentiert sie doch eine vorbildliche Tierhaltung, die amtstierĂ€rztlich nachgewiesen werden muss.
Viel Wert legt sie zudem auf einen ganzheitlichen Ansatz. Die Biologin sagt: âWir möchten vermitteln, dass Mensch und Natur eins sind.â Die Ressourcen der Natur sollen genutzt und bei der Persönlichkeitsbildung eingesetzt werden. âAls Partner des BiosphĂ€renreservats NiedersĂ€chsisches Wattenmeer liegt ein Schwerpunkt unserer Arbeit in der Nachhaltigkeit mit Bezug auf die RegionalitĂ€t.â Tomtes Hof will beispielgebend sein: Wo immer es geht, werden biologisch erzeugte, regionale Produkte genutzt. âDas Getreide fĂŒr unser Tierfutter beziehen wir vom Biolandhof Agena in der Krummhörn und lassen es in der Westgaster MĂŒhle in Norden schroten.â NatĂŒrlich wird auch die Wolle der auf dem Hof geschorenen Schafe genutzt â zum Beispiel, um im Rahmen von Projektwochen weiterverarbeitet zu werden.
Die Angebote auf Tomtes Hof wurden kontinuierlich erweitert: In den Kursen der Ethnobotanikerin Susanne Figur sollen Erwachsene fĂŒr die HeilkrĂ€fte der Natur sensibilisiert werden. KrĂ€uterseminare nach Edward Bach, die oft unterschĂ€tzte Energie der BĂ€ume und die Tradition der MedizinrĂ€der finden ihr Publikum.
In der ruhigen Hof-AtmosphĂ€re am Ryksdyker Weg können die Teilnehmer so eine Menge erfahren â ĂŒber ihre Umwelt und sich selbst.
TOMTES HOF E.V., Dr. Juliane Marliani
Rysdyker Weg 1, 26506 Norden, Telefon (04931) 9301634
AusfĂŒhrliche Informationen zu TOMTEs HOF und den Programminhalten unter www.tomtes-hof.de.
Verbindliche Anmeldungen fĂŒr alle Veranstaltungen:
Telefon (04931) 9301634 oder info@tomtes-hof.de
Dienstags und in den Ferien auch freitags findet von 16.00 Uhr
bis 17.30 Uhr die »tierische Mit-Mach-FĂŒtterung« statt.
Kinder ab 2 Jahren können mit und ohne Eltern bei der Versorgung der Hoftiere helfen.