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Urlaub im Denkmal

01.11.2017 | 2017-04, Norderland Magazin

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Ingenieur Jan Keydel und Architektin Ulrike Adams haben den Gulfhof Klein Schulenburgerpolder mit Kenntnis und Stil saniert. FeriengĂ€ste schĂ€tzen vor allem die Idylle auf dem alten Marschhof, wo moderne Wohnstandards auf historische Bausubstanz treffen. Ein Rundgang zwischen „Karnhus“ und „Sömmerköken“.

Einen Großteil seiner Kindheit hat Jan Keydel in Ostfriesland verbracht. Und bei Verwandschaftsbesuchen in Hagermarsch und der Krummhörn die Region ebenso schĂ€tzen gelernt wie deren typische GemĂ€uer. Stattliche Höfe aus rotem Klinker inmitten flacher, weiter Landschaft. Errichtet in einer Zeit, in der die Bauern ohne Traktoren und schweres GerĂ€t die Felder beackerten. „1965 kaufte mein Vater das alte SielwĂ€rterhaus am Addinggaster Tief. So hatte ich schon frĂŒh eine Beziehung zu alten GebĂ€uden.“ Studium und Beruf fĂŒhrten Jan Keydel nach Göttingen, wo der Elektroingenieur heute seinen festen Wohnsitz hat. Doch die Liebe zu Ostfriesland ist geblieben. „Ich bin immer hier, wenn ich es mir leisten kann“, sagt Keydel und lĂ€chelt. Und seit er 2013 mit dem Gulfhof Klein Schulenburgerpolder in Neuwesteel ein regionstypisches Baudenkmal erworben hat, lockt Ostfriesland mehr denn je.

Mit seiner Frau Ulrike Adams, von Beruf Architektin, und einem kleinen Team aus Göttingen hat Jan Keydel das 1842 erbaute Vorderende aufwĂ€ndig saniert. In fast dreijĂ€hriger Bauzeit ist ein architektonisches SchmuckstĂŒck entstanden: „Die Herausforderung war, die historische Substanz zu sichern und das GebĂ€ude gleichzeitig fĂŒr heutige WohnansprĂŒche nutzbar zu machen.“ Die Scheune des Marschhofs ist vermutlich bereits um 1780 errichtet worden. „Um diese Zeit wurde der Klein Schulen- burgerpolder eingedeicht“, weiß Jan Keydel. UrsprĂŒnglich wollte man einen zusammenhĂ€ngenden Schulenburgerpolder anlegen. Noch wĂ€hrend der Deichbauarbeiten kam es 1774 zum Deichbruch und anders als geplant, entstanden zwei durch einen FlĂŒgeldeich voneinander getrennte Polder: Groß Schulenburgerpolder und Klein Schulenburgerpolder, benannt nach dem damaligen Minister von der Schulenburg. Das WohngebĂ€ude erbauten spĂ€ter die Familien Agena und Itzen, wie die Inschrift ĂŒber der TĂŒr zum klassizistischen WohngebĂ€ude verrĂ€t. „Der Hof war bis zum Schluss in Familienbesitz“, sagt Keydel. Der Klein Schulenburgerpolder umfasst 46 Hektar. „Bester Marschboden, der 150 Jahre lang Lebensgrundlage fĂŒr die Bauernfamilie war – anfangs samt MĂ€gden und Knechten.“ Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die Landwirtschaft im Zuge der Technisierung spĂŒrbar verĂ€ndert: FĂŒr einen lohnenden Ackerbaubetrieb braucht es mittlerweile rund 200 Hektar Land. So wurde auch der Klein Schulen- burgerpolder 2011 von einem grĂ¶ĂŸeren Ackerbaubetrieb ĂŒbernommen, 2010 hatten die EigentĂŒmer aus AltersgrĂŒnden den landwirtschaftlichen Betrieb eingestellt. „Das HofgebĂ€ude genĂŒgt den AnsprĂŒchen moderner Landwirtschaft nicht“, sagt Keydel. Weder lassen sich in der Scheune große Maschinen unterbringen, noch ist eine wirtschaftliche Tierhaltung darin möglich. Also stellte sich die Frage: Wie kann man den Hof als Denkmal erhalten und wieder nutzbar machen? „Um es selbst zu bewohnen, ist das Haus zu groß, so lag die Umnutzung des Vorderendes zur Ferienunterkunft auf der Hand“, sagt Ulrike Adams. „Das GebĂ€ude soll sich selbst erhalten, etwas erwirt- schaften.“ Doch bevor im Sommer 2015 die ersten FeriengĂ€ste einziehen konnten, musste viel passieren: Um Heizkosten zu senken, wurde das WohngebĂ€ude professionell gedĂ€mmt und mit neuen Fenstern ausgestattet, Kaminöfen, die in den 1970er-Jahren stillgelegt worden waren, wurden  instand gesetzt. Auf dem lange Zeit ungenutzten Kornboden sind SanitĂ€r- und SchlafrĂ€ume entstanden. Insgesamt vier Ferienwohnungen haben Keydel und Adams im Vorderende eingerichtet: die „Good Stuuv“ fĂŒr bis zu zwei Personen, „Upkammer“, „Karnhus“ und „Sömmerköken“ bieten fĂŒnf bis sechs Personen Platz. Jeweils zwei Wohnungen haben eine VerbindungstĂŒr und können bei Bedarf zusammengelegt werden. „Gerade hatten wir eine grĂ¶ĂŸere Gruppe zu Gast zu feiern“, erzĂ€hlt Ulrike Adams. Als Party-Location diente der weitlĂ€ufige Garten. „Unsere FeriengĂ€ste wissen die Eigen- heiten des GebĂ€udes zu schĂ€tzen. Auch wenn man die Wohnungen separat vermietet, begegnen die Bewohner sich zwangslĂ€ufig auf dem Flur, kommen ins GesprĂ€ch. Bei uns ist eben alles ein bisschen anders.“ Besonders sind auch die RĂ€ume: Sie wurden mithilfe von histo- rischen Farbbefunden gestaltet, alte ZimmertĂŒren wurden restauriert. Decken- und Fußbodendielen und Fenster ent- sprechen nun wieder weitgehend dem historischen Vorbild. Überlieferte PlĂ€ne gab es nicht, lediglich ein paar alte Fotos. Um ein GefĂŒhl fĂŒr die Vergangenheit des GebĂ€udes zu bekommen, haben Keydel und Adams eine Farbrestauratorin beauftragt. „Farbe ist unglaublich wichtig fĂŒr die Harmonie“, sagt Jan Keydel. „FrĂŒher hatte man ein gutes GefĂŒhl dafĂŒr, hat sich mehr damit auseinandergesetzt und nicht einfach die ,Farbe der Saison‘ gewĂ€hlt.“ Im Vorderende des Gulfhofs sind zum Beispiel viele GrĂŒntöne zu finden – in perfekter Harmonie mit dem, was der Blick aus dem Fenster offenbart. Aber auch WĂ€nde und Decken in krĂ€ftigem Rosa fallen ins Auge: „Da wĂ€ren wir ohne die Farbuntersuchung nicht drauf gekommen – aber der Gesamteindruck passt!“ So hĂ€lt die Sanierung eines alten GebĂ€udes immer wieder Überraschungen bereit: Einige Original-TĂŒren des Wohnhauses fand Keydel per Zufall auf einem benachbarten Hof wieder. Die einstigen EigentĂŒmer hatten sie dem Nachbarn ĂŒberlas- sen, der sich ein BĂŒcherregal daraus bauen wollte. „Zum GlĂŒck konnte ich ihn ĂŒberreden, mir die TĂŒren zurĂŒckzugeben“, lacht Keydel. „Es hat viel Spaß gemacht, solche Dinge zu ent- decken. Wenn man irgendwo den Putz abschlĂ€gt, findet man etwas dahinter. Vielleicht ein altes Fester oder eine Feuerstelle Und dann stellt sich die Frage: Kann ich es erhalten? Ist das sinnvoll?“ Schließlich sollte kein Museum, sondern Wohnraum entstehen. Die alte Treppe, die in der Wohnung „Karnhus“ vom Erdgeschoss zu den SchlafrĂ€umen fĂŒhrte, war zu steil und unsicher, um GĂ€ste und vor allem Kinder dort hinaufzu- schicken. „Eine pseudohistorische Treppe hĂ€tte hier nicht funktioniert“, sagt Jan Keydel. Deshalb haben er und seine Frau sich bewusst fĂŒr eine moderne Variante entschieden, die mit dem Rest harmoniert. „Eine altes GebĂ€ude ist immer eine Summe aus Kompromissen“, resĂŒmiert der EigentĂŒmer. Der Spagat zwischen Erhalten und Erneuern ist dem Elektroingenieur und der Architektin gelungen – mit sicherem GefĂŒhl fĂŒr Stil und fĂŒr die Geschichte des Hauses. Blickfang im „Karnhus“ ist ein bemalter Alkoven mit einem per Leiter erreichbaren Schlafplatz. „Kinder lieben das!“, sagt Ulrike Adams. Die Jugenstilbemalung und die noch Ă€ltere Bemalung darunter wurden nur teilweise sichtbar gemacht. „Sonst wĂ€re der Raum zu dunkel geworden.“ Das außergewöhnliche Engagement fĂŒr die Denkmalpflege ist im November 2016 mit einer Belobigung der NiedersĂ€chsischen Sparkassenstiftung ausgezeichnet worden. Möglich war die Umnutzung des Gulfhofs laut Keydel vor allem dank der guten Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde. Und mit der UnterstĂŒtzung umsichtig arbeitender Handwerks- betriebe: „Nicht jeder kann mit alter Substanz umgehen“, weiß er. „Auch die Handwerker mĂŒssen das Haus wertschĂ€t- zen. FĂŒr so ein Projekt braucht man Bastler und TĂŒftler, die Lust haben, Lösungen zu finden.“ Lediglich die Scheune – der Ursprung des Gulfhofs – ist so geblieben, wie sie war. „Zum GlĂŒck ist das Dach heile gewe- sen.“ Und hier kann man sehen, was ein Gulf eigentlich ist: „So bezeichnet man die FlĂ€che zwischen vier Tragbalken“, erklĂ€rt Jan Keydel. „Die Bauart ist immer gleich.“ Auf dem Klein Schulenburgerpolder ist ein StĂŒck ostfriesischer Zeitgeschichte erhalten geblieben. Und wird Tag fĂŒr Tag mit Leben gefĂŒllt. Mit einem Schmunzeln zeigt Keydel auf ein altes Zierfenster mit kaputtem Glas. „Das lassen wir so. Damit die Eule reinkann.“