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Mit Rennwagen segeln gehen

01.08.2017 | Norderland Magazin

Mit Rennwagen segeln gehen

Strandsegeln hat auf Norderney Tradition. Ein paar Insulaner fahren im Sommer mit einem ehemaligen Linienbus sogar um die ganze Welt, um an Meisterschaften teilzunehmen – und das mit Erfolg.

Mit Schiffen über Land fahren und mit Rennwagen segeln gehen: Klingt paradox, ist jedoch ein Sport, den es schon um 1600 gab. Strandsegeln nennt sich der Freizeitspaß, bei dem man in dreirädrigen Segeljachten mit bis zu 130 Stundenkilometern über Sandstrände flitzt. Auch auf Norderney hat der Sport Tradition. Jedes Wochenende traf sich in den 1980ern eine Gruppe Insulaner, um gemeinsam über die Strände im Osten zu segeln. Mittlerweile sind von ihnen nur noch drei aktiv, die jeden Sommer abenteuerliche Reisen unternehmen, um an Wettkämpfen und Meisterschaften weltweit teilzunehmen. Seinen Ursprung hatte das Strandsegeln schon vor einigen Jahrtausenden: Die ältesten Reste eines Landseglers wurden im Grab des ägyptischen Pharaos Amenemhet III. gefunden, der vor über 4000 Jahren „in der Wüste mit Achsen und Segeln fuhr“. Damals nutzten die Menschen die Wagen jedoch eher zum Transport als zum Vergnügen. Als Hobby entdeckte ein niederländischer Fürst das Strandsegeln dann um 1600. Er ließ sich den ersten Segelwagen Europas bauen und fuhr damit zusammen mit 26 Gästen unter einem riesigen Segel 95 Kilometer am Meer entlang. Und das innerhalb von weniger als zwei Stunden – eine Sensationszeit vor 400 Jahren!
Bis in die 1970er Jahre glichen die Strandsegler dann abenteuerlichen Kreationen von Daniel Düsentrieb, dem zerstreuten Erfinder aus der Comicwelt. Heiko Hartmann ist einer der Norderneyer, die den Ursprung der insularen Strandseglerszene miterlebt hat. „Anfangs haben wir uns die Segler nur provisorisch zusammengeschustert“, sagt er. An ein Brett schraubte er alte Kinderwagenräder und fuhr damit zunächst nur auf befestigten Wegen. „Vorne drauf kam eine Kerze im Einmachglas – man musste ja schließlich gesehen werden“, erklärt er. Dann folgten ein Mast und ein Segel. Von Kindesbeinen an hat er schon gesegelt,
gesurft und dann auch das Strandsegeln für sich entdeckt.
Er gewann später sogar die belgische, deutsche und holländische Strandsegelmeisterschaft.
„Um 1912 war das erste Mal die Rede von einem Strandsegler auf Norderney“, erzählt Hartmann. Damals waren an die 20 Mann zusammen in einem riesigen Strandsegler unterwegs. In den 1950ern wurde die Technik dann erweitert. Erstmals rauschten Landyachten mit Hilfsmotoren über die Strände. „Damals war das eine richtige Touristenattraktion.“ In den 1960ern wuchs das Interesse am Strandsegeln und das Hobby wurde fest in der Welt des Sports verankert. Die ersten Strandsegler, wie sie heute aussehen, bauten sich die Norderneyer bei der Werft Dübbel und Jesse in den 1980er-Jahren. Hartmanns Sohn und Strandsegelweltmeister Sven Kraja machte dort seine Ausbildung zum Bootsbauer. „Wir fingen an, Segler zu bauen und weiterzuentwickeln.“ Ihren Höhepunkt fand die Strandseglerszene der Insel im Jahre 1989, als sich rund 60 Segler auf der Insel zur Deutschen Meisterschaft trafen. Jedes Wochenende traf sich eine Gruppe von 20 bis 25 Seglern im Winter bei bis zu minus 15 Grad auf den Norderneyer Stränden. Sie schwangen sich dann in ihre Monturen, setzen ihre Helme auf, stülpten wasserdichte Handschuhe über, zogen die Segel dicht und ließen sich vom Wind über die Strände tragen. Fast liegend wird mit den Füßen gesteuert. Die Hände bedienen lediglich das Segel. Wegen der hohen Geschwindigkeiten gibt es klare Richtlinien bei Wettkämpfen. Sogar ein spezieller Pilotenschein und eine sportgerechte Haftpflichtversicherung müssen mittlerweile vorgewiesen werden. Ganz ungefährlich ist der Sport also nicht. Er gewinnt dennoch weltweit an Beliebtheit.
Auf Norderney sind die Bedingungen allerdings nur selten ideal: Nur wenn Ebbe ist, Wind der Stärke drei bis vier weht und viel Platz vorhanden ist, können die Sportler ihr Hobby ausüben. Eigentlich ist das Strandsegeln auf Norderney sogar verboten. In den Sommermonaten dominieren Spaziergänger und Sonnenanbeter auf Handtüchern die Strände – und die dürfen natürlich nicht gefährdet werden. Also segeln die Norderneyer an bestimmten Strandabschnitten nur in den Wintermonaten oder im Sommer spät abends und früh morgens.
„Wir hatten unser Domizil an der Weißen Düne“, sagt Hartmann. Jahrzehntelang wurde der kleinsten Sparte im Seglerverein für die Unterbringung dort ein Anbau von der Kurverwaltung zur Verfügung gestellt. 2010 war Schluss damit. Die Weiße Düne brauchte mehr Platz, und für die Erweiterung musste der Strandseglerschuppen weichen. Und zu dem Zeitpunkt war das Strandsegeln auf Norderney schon keine feste Instanz mehr. „Um 2000 haben die meisten aufgehört“, sagt Hartmann. „Sehr schade.“ Mittlerweile sind nur noch er, sein Sohn und der Norderneyer Kai-Uwe Eilts segelnd auf nationalen und internationalen Strand-/und Landflächen unterwegs.
Im Sommer reisen die drei zusammen zu den Meisterschaften durch Europa und 2014 sogar über den „großen Teich“ in die USA. Und das mit einem Linienbus, der jahrzehntelang seine Runden auf Norderney drehte. Alles begann mit dem schwarz-weißen Bus des Insulaners Peter Tjaden und einem an Wohnmobilen interessierten Norderneyer. 2500 Euro und einen Handschlag später gehörte der Wagen Kai-Uwe Eilts. Im Gewerbegebiet der Insel verwandelten der Bootsbauer und Kraja das alte Gefährt in eine Wohnung auf vier Rädern. Ein geräumiges Schlafzimmer, ein modernes Badezimmer, eine Küchenzeile und ein Sitzbereich befinden sich nun im Innere des Linienbusses. Auf dem Dach bietet das Wohnmobil Platz für zehn Strandsegler. Seit knapp vier Jahren dient das Teamgefährt der Gruppe von Strandseglern als Basecamp – und manchmal auch als Partybus.
Die erste Tour mit dem alten Brummer führte die Hobby-Sportler 2011 nach England zur Europameisterschaft. Im darauffolgenden Jahr fuhren sie mit Eilts‘ Wagen zur Strandsegler-WM in das französische Cherrueix/ Bretagne. Dort wurde Kraja als erster Deutscher in der Klasse Miniyacht Weltmeister. Um den Titel zu verteidigen, ging es für die Gruppe im vergangenen Jahr dann in die USA nach Nevada zum ausgetrockneten See „Smith Creek“ auf 1900 Metern Höhe. Ein Abenteuer, das den alten Bus einmal über den Atlantik und dann quer durch die USA führte. „Der Bus hat gut durchgehalten“, sagte Hartmann. Beachtlich, schließlich ist das alte Gefährt zwar gut gepflegt, aber immerhin fast 30 Jahre alt.
Dort angekommen sorgte das Wohnmobil für Rummel – sogar die US-amerikanischen Medien berichteten über die Deutschen, die mit einem Linienbus reisten. Über Krajas Erfolge konnten sie anschließend ebenfalls berichten, denn der 44-Jährige gewann in gleich zwei Klassen jeweils eine Bronzemedaille. Seine Lebensgefährtin Gitta Steinhusen aus Schleswig wurde Vizeweltmeisterin in der Miniklasse.
Eine ordentliche Leistung, denn anders als auf Norderney und anderen deutschen Stränden hatten die rund 170 Teilnehmer aus 15 verschiedenen Ländern bei dieser WM mit enormer Hitze, über 50 Grad, und Sandstürmen zu kämpfen.
Wenn er nicht gerade in kleinen Wagen über Strände düst, ist Kraja selbstständiger Segelmacher – er rüstet mit seinen „Frog Sails“ die Flotte aus. Die Entwicklung von Booten und Segeln ist ähnlich wie in der Formel-1: Es gibt ständig neue Schnitte, neue Materialien und selbst neue Nähte, um die Yachten noch schneller über Sandstrände gleiten zu lassen. Obwohl sich das Strandsegeln auf Norderney mittlerweile eher rückwärts entwickelt hat, gibt es weltweit immer mehr, die den schnellen Sport für sich entdecken.